Ich erinnere mich an ein Ereignis vor langer Zeit. Ich verbrachte 1965-1966 zwei Semester an der Freiburger Uni, (sonst hätte ich mich bei Euch auf deutsch nicht verständigen können), ein ziemlich unbedeutendes Geschehen, das mir aus unbekannten Gründen im Gedächtnis behalten bleibt.
Wir hörten dem Radio zu. (Im Jahre 1966 war Deutschland noch geteilt). Auf dem Sender schimpften und schimpften eine Gruppe Ostdeutscher auf den Westen und die Bundesrepublik. "Warum sind die Menschen so hasserfüllt?", befragte ich meine Mithörer. Sie hetzen, war die Antwort.
Das war das erste Mal dass ich jenes Wort hörte. Die Bedeutung war mir sofort klar.
Ich stelle jene Frage, fast sechzig Jahre später, wieder: Warum hetzen wir?
2.
Ich bin eben (vor zwei Stunden sogar) von einer chirurgischen Behandlung nach Hause gekommen. Ich schreibe diesen Artikel selbst, aber meine Mitschreiberin ist die Anästhesie. Ich weiss nicht welche Betäubungsmitteln sie benützten, aber dessen bin ich sicher: sie hat meine dunkle Seite vorerst weiss getüncht. Jetzt ist es mir noch erschreckend unerklärlicher, warum die Innenwelt der Menschen oft enthält stürmische Ozeane voll Säure anstatt ruhige Seen voll Wasser. Warum hetzen wir?
(Hoffentlich hat die Anästhesie eine permanente Änderung bewirkt. Hoffentlich ein Ende mit dem Selbsthetzen ist endlich da!)
Im Jahre 1602, kam eine herrliche Überzetung der hebräishen Bibel heraus, beauftragt von dem englischen König, Jakobus ll. Der unsterbliche Anfang vom zweiten Psalm, durch seine spätere Vertonung von Händel im 'Messias' gemacht noch unsterblicher, ist wunderschön: Why do the nations so furiously rage together? And why do the people imagine vain things? Luthers Übersetzung ist auch sehr schön: Warum toben die Völker und murren die Nationen? (Die wörtliche Übertragung, die mit "Warum toben die Heiden" anfängt, finde ich im Vergleich sehr unterlegen).
Mit anderen Worten: Warum hetzen wir?
Wenn ich Rechtsradikalen, Linksradikalen, Fundamentalisten, und noch schlimmer, Leute die sich fûr religiös abgeben, hetzen hören, ist es mir peinlich, dass wir, Jahrhundert nach Jahrhundert, noch die Luft mit Hass vergiften. Warum?
Was ist das, das in us hurt, lügt, stiehlt und mordet?
Eine grosse Fage! Ich muss gestehen, dass ich weder klug noch gebildet genug bin, um sie völlig zu beantworten, aber solide Hinweise auf die Beantwortung dieser Frage kann ich schon geben.
3. Warum? Darum
Im Buddhismus spricht man von den sogenannten drei Geistesgiften, nämlich, Lobha (Gier), Dosa (Hass), und Moha (Verblendung, Ignoranz, Illusion). Diese Trinität geistiger Verhaftung ist für viel Leid auf Erden verantwortlich. Hetzen, ein Teil dieses Leidens, hat seine Wurzel darin; eine genauere Erkärung wird hoffentlich behilflich sein.
Meiner Meinung nach. gibt es vier Einflussfaktoren, die für die Neigung zum Hetzen verantwörtlich sind: 1. Unzulänglichkeitsgefühle; 2. Egoismus; 3. Hass; und 4. Wettkampf oder Konkurrenz. Wir besprechen jetzt der Reihe nach alle vier.
A. Unzulänglichkeit
Wenn man sich unzulänglich wähnt, dann ist das Glück aus. Wenn einem unglücklich zumute ist, ist es schwierig das zu tun, was am Wichtigsten zu tun ist: gute Beziehungen fördern. Im amerikanischen Schulsystem gab es--und womöglich gibt es immer noch--die sogenannte "Self-esteem" (Selbstwertsgefühl) Bewegung, indem man, zum Beispiel, allen Schülern einen Preis gibt, ob sie erfolgreich sind oder nicht. Nicht nur dass sich Schüler, die klug und gewissenhaft sind, benachteiligt fühlen, sondern dass die gewollte Wirkung auf die anderen selten vorkommt. Wenn mit Wort und Tat die Liebe in der Familie nicht vorhanden, ist die Entwicklung von einem guten Selbstgefühl sehr problematisch. Wenn man glücklich ist, möchte man andere beglücken. Das Umgekehrte ist auch der Fall, wenn einem immer unfröhlich zumute ist. Wenn man sich schlecht fühlt, wenn man dauerend ein schlechtes Gewissen hat, dann wird man gut hetzen können.
B. Egoismus
Für mich ist das Ich ein Evolutionstrick. Wir bestehen, so weit ich weiss, ganz aus physischen Bestandteilen. Wie ist es dazugekommen, dass ein Es sich in ein Ich verwandelt? Wie kann ein Gehirn, dass aus Elementen, die auch in der Umwelt tot vorkommen, selbstbewusst werden? Warum es so ist, wissen wir nicht, aber jeder weiss (wähnt?) dass jeder eine Person ist; dass jeder sich von der Umwelt apart fühlt; dass jeder kein Stein, sondern ein Ich ist. Aber dieses muss eine Illusion sein, wenn wir völlig aus Atomen gemacht sind. Aber ohne diese Illusion, wäre es unmöglich, Kultur zu schaffen; ohne diese Illusion würde kein Mozart Musik komponieren können. Auf der anderen Seite, leider, ohne diese Illusion würde auch kein Hitler in mörderischen Wut ausbrechen können. Immernoch ist es nicht wunderbar, ein Ich zu sein!
Zu wissen dass das Ich illusorisch ist, ist der erste Schritt zur Weisheit; zu wissen dass alles mit allem verbunden ist, ist die Weisheit selbst. Wenn man sich und die Mitmenschen lieben kann, ist das Ich ein Vorteil. Aber wenn man unglücklich ist; wenn man sich unzulänglich vorkommt, dann kann das Ichgefühl ein Nachteil sein, dann kann man leicht zum Hetzen kommen.
3. Hass oder Zorn
Im Buddhismus ist es sehr wichtig, Gleichmut zu behalten, selbst wenn die Welt um sich zerfällt. Wenn man einen Eimer voll Zorn zu Füssen eines Buddha legt, lässt er ihn unberührt da. Ein Jesus aber würde ihn heben, und ihn den Pharisäern ins Gesicht werfen. Im Westen unterscheidet man zwischen einem egotistishen (patholgischen) Zorn und einem gerechten (guten) Zorn. Ersteres hat seinen Ursprung meistens in einem verletzten Selbstgefühl und kann tödlich sein; Letzteres basiert sich in dem Willen zur Gerechtigkeit, und kann helfen, die Welt zu verbessern. Es wäre schön, obgleich unwahrsceheinlich, wenn jeder den Gleichmut behalten könnte, während man auch gegen die Ungerechtigkeit kämpft. Wenn Hass oder Zorn von einem verletzten Selbstgefühl stammt, und daher ungerecht, ist der Schritt zum Hetzen nur ein Babyschritt entfernt.
4. Konkurrenz
Die Physiker sagen, dass andere Universen existieren mögen, in denen aber das Leben unmöglich sei. Ja, wir sollen froh sein, dass wir in einem Weltall leben, der das Leben zulässt. Aber die Entfernungen sind gross. Es scheint, dass intellegente Wesen Lichtjahre von uns entfernt sein müssen--wenn sie existieren überhaupt. Das Stoff, durch Genen geleitet, um evenutual Menschen zu werden--dieser Prozess ist ein natürlicher Wunder! Aber wie Brechts reitender Bote des Königs, kommen intelligente Wesen sehr selten im Weltall vor. Das bedeutet, dass die unglaublich feine Mischung von Elementen, die jeden Menschen ausmacht, ein sehr rares Phänomonen ist. Wir sind alle einzigartig! Aber wenn man sich unzulänglich vorkommt; wenn man egoistisch ist; wenn man hasserfüllt ist; wenn man sich mit anderen vergleicht, die vermutlich Glücksinder sind, leidet man sehr unter der Wahn, dass man schon den sogenannten allgemeinen Wettbewerb des Lebens verloren hat.
Die Forschung hat bewiesen, dass wenn man in einem zwar grossen Haus, das aber kleiner als die Häuser der Nachbarn ist, leidet man darunter. Wenn man aber in einem kleineren, das aber grösser als diejenigen der Nachbern ist, ist man froh. Das ewige Vergleichen mit anderen, ein Merkmal, das in uns seit Jahrtausenden liegt, ja dieses spornt uns zum Hetzen an.
Kommentar
Die am Anfang erwähnten ostdeutschen Hetzer, hetzten weil sie sich wohl (dem Westen) unzulänglich fühlten, weil sie vielleicht auch egoistisch, zornig und neidish auf Westdeutschland waren--vielleicht war ein bisschen gerechter Zorn dabei, das geb ich zu. Diese oben besprochenen vier Hindernissse verursachen viel Leid im Leben. Aber wo es Hindernisse gibt, gibt es auch eine Lösung, besser gesagt: Lösungen: Liebe, Weisheit, Erfahrung, gerechtes Handeln, usw. Wie die Hindernisse uns beschämen, so befreien uns die Lösungen. Und wovon sollen wir befreit sein? Was ist der Zweck des Lebens? Martin Buber hatte sicherlich recht, als er in seinem wunderbaren Buch, Ich und Du, schrieb, Am Anfang war (nicht das Wort, nicht die Tat, sondern) die Beziehung. Seid euch selbst Ihr bester Freund; mit anderen Worten, anderen helfen, andere befreunden. So lautet der Text, den Mozart vertont hatte: Dann ist die Erd' ein Himmelreich und Sterbliche den Göttern gleich,
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