7.31.2014

Rezension: Liebste Fenschel! von Peter Härtling

Peter Härtling
Liebste Fenschel!
Das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn
  in Etüden und Intermezzi
DTV Verlag, München, 2013
367 Seiten







Dieser Roman ist lesenswert und unterhaltend, besonders für Leser, die auch Musikliebhaber sind.  Zur Vorbereitung hat der Autor viele Briefe und andere Dokumente gründlich untersucht; man kann beim Lesen deutlich spüren, dass ihn Fanny Mendelssohn fasziniert; und sie fasziniert uns auch.

Ich kannte schon einige Lieder und Klavierstücke von Fanny; ohne Zweifel war sie sehr begabt.  Ich habe einmal am Radio gehört, dass einige meinen, sie sei ebenso begabt als ihr berühmter Bruder war; wir werden das aber nie wissen, weil sie in der Entfaltung ihrer Karriere als Muiskerin vom Vaterhaus und vom Zeitgeist gehindert war.  Wie dem auch sei, meine ich, dass ihre besten Kompositionen den zweitrangingen Stücken ihres Bruders ebenbürtig sind.  Aber die besten Kompositionen von Felix Mendelssohn sind allen ihren Werken weit überlegen.  Sie bleibt, aber, ein grosses Talent und eine faszinierende Figur.

Das Buch ist keine reine Biographie, sondern ein Roman.  Peter Härtling hat mit Hilfe alter Dokumente und seiner eigenen Einbildungskraft gute plastische Szenen geschrieben. Als Fanny und ihre Familie nach Italien reisten, konnte der Leser sich vorstellen, dass er/sie mitgereist wäre, weil alles so lebhaft geschildert ist.

Wir wissen schon, ehe wir ein Wort lesen, was ein Nebenthema des Romans sein wird, nämlich die gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen.  Fanny war eine höchst begabte Komponistin und Klaviervirtuosin.  Sie wollte tun, was ihr Bruder tat: die Welt mit ihren eigenen Musik erobern.

Der Vater war ein guter Mann.  Wie die meisten Leute seines Zeitalters hatte er aber gewisse Einstellungen gegenüber Frauen.  Er behauptete fest, dass ein Mädchen nie Komponistin werden dürfte.  (Warum das so ist sagt er nicht.)  Selbst ihr berühmter Bruder ist damit einverstanden.  Der Roman ist aber keine bittere Geschichte von der Unterdrückung einer Frau.  Der Autor beschreibt nicht; er versucht stattdessen uns zu zeigen, dass sie ebensogut und in manchen Fällen besser als viele männliche Komponisten ihrer Epoche war.  Dem Leser wird klar, dass ihrer Begabung Welterkenntnis zukommen sollte.  Aber die mangelnde Teilnahme von der Umwelt hat sie nicht dazugebracht, ihre Musik aufzugeben.  Ganz im Gegenteil!

Wir lesen, dass der Vater ihr klar machte, dass sie nur Hausmusik als Frau treiben dürfte.  Aber Hausmusik hat eine ganz andere Bedeutung wenn man in einem Haus wohnt, das ein Zentrum der Musik für ganz Deutschland war.  Für die Sonntagskonzerten bei den Mendelssohns haben Fanny und Felix neue Werke komponiert.  Die wichtigsten Musiker in der Umgebung and von weit weg wohnten diesen Konzerten bei.  Mit anderen Worten: Fanny genoss ein reiches musikalisches Lebern.

Antisemitismus wird in diesem Roman auch dargestellt.  Obgleich Felix viel für die Berliner Sängerakademie geleistet hat, wie, z. B., die Neuentdeckung von Bachs Matthäus Passion, wird er nicht eingeladen, Direktor der Akademie zu werden, weil er jüdischer Herkunft  war.  Dass die Familie zum Christentum übergetreten ist, machte nichts aus.  Die Untertreibung von Vorfällen dieses giftigen Vorurteils ist dem Autor sehr gelungen und beindrückt uns um so mehr, weil wir mit den Vorgängen des letzten Jahrhunderts vertraut sind.  Hier ist ein Beispiel--die Familie bespricht einen Anprall von Hass ("Hepp, hepp, Judenpack, verreck!"), der Fussgänger an Felix und Fanny neulich gerichtet hatten:

Bis in der Nacht redeten sie über die Gemeinheit der Verfolger und wie sie den Juden nachstellten, woher sie wüssten, dass sie Juden seien, ob man es ihnen ansähe, ob es nur Neid sei, aber sie fielen doch nicht auf, sie blieben alle bescheiden...Wir sind und bleiben die Anderen, die nicht passen, die verhöhnt und vertrieben werden können...(Abraham versucht, seine Frau zu beschwichtigen.)  Aber nein!  Sie liess sich auf einen der Stühle fallen.  Aber nein!  An die hält sich doch keiner.  Jeder Strassenköter kann uns vor sich hertreiben, in die Waden beissen.  Und sobald wir uns wehren, wird es heissen: Die sind Juden.  Und gelänge es uns, recht zu bekommen, würde es uns nachgesagt: Es ist ihr Geld.  Die haben sich Freundlichkeiten erzahlt.  Stimmt es?  Ihre Stimme überschlug sich fragend.

                                                      (S. 117. 118)

Peter Härtling ist ein begabter Schriftsteller.  Hier ist seine kurze Schilderung der Brautnacht von Fanny und Wilhelm Hensel--(Man soll nicht vergessen, dass sie bis dann nie allein miteinander waren, wie es im 19. Jahruhundert üblich war):

"Um neun gingen wir auseinander," trug sie ins Tagebuch ein.  Luise und Minne, Hensels Schwestern, begleiteten sie bis zum Gartenhaus.  "Dann schweige ich," schrieb sie.  Doch hinter dem Satz bereitete sich Unruhe aus, versuchte Nähe, plözlich erlaubt, der Geruch des anderen, seine Haut, die geteilte Angst und der Versuch, sich atemlos zu vergessen.

                                                                   (S. 154)

Schöne Worte!

Mir kam der Roman wie ein gelungener Film der 40. Jahren vor.  Damals hatte fast jeder Film eine musikalsiche Begleitung.  Mir waren fast alle der erwähnten Stücke bekannt. (Die mir unbekannten hörte ich im YouTube zu.)  Dann hörte ich sie in meinem Kopf spielen als ich den Roman las.  Nein, ich bin der Meinung, dass der Roman sogar besser ist als das Mehrzahl von jenen Filmen ist.  Er ist eine Unterhaltung ersten Ranges.

                                             --Thomas Dorsett


Anmerkungen


Mein besonderer Dank gilt Mary Upman vom Deutschen 

Literaturkreis in Baltimore.  Sie hat diese Rezension vorsichtig korrigiert und 


verbessert  


Vielen Dank, Mary!


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Die Mitglieder vom deutschen Literaturkreis online machen eine Pause bis 

September 2014, wann wir Die Letzte Welt von Christoph Ransmayr besprechen 


werden.  Wir laden sie ein den Roman mitzulesen; meine Resenzion wird am 


Anfang Oktober erscheinen.


                                                                       TD


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