Jurek Becker
Jakob der Luegner
Surkamp Taschenbuch, 1982
c Aufbau Verlag, Berlin, 1969
Wie kann man die noetige Hoffnung um zu ueberleben in aeusstersten Zustaenden behalten? Wenn man als Krebspatient dem Ende naht, oder wenn man sich verwahrlost in einem Altersheim befindet, zum Beispiel? Wie normale Menschen in einer nicht normalen Lage diese Hoffnung behaelt ist das Thema von Jurek Beckers sehr gelungenem Roman, Jakob der Luegner. Hier handelt es sich um das Leben in einem Ghetto, von Nazis unzirkelt, wo selbst die kleinste Hoffnung fehl am Platz scheint, aber ist doch um so wichtiger.
Jakob, ein einfacher Mann, der in gluecklicheren Zeiten in derserlben Stadt Kartoffelpuffer, das heisst Latkes, herstellte, ist im Grunde lebensfreudig. Aber er ist nicht blind; das Ghetto ist ein Gefaengnis. Selbstmoerde nehmen zu. Es kommt nicht selten vor, dass jemand auf der Strasse verhungert liegt. Die Nazis sind brutal, und tun mit den "Drecksaecken" was sie wollen.
Eines Abends wurde Jakob von einem Offizier aufgehalten und ins Gebaeude der Gestapo geschickt, weil er nach 20 Uhr auf der Strase war. Eigentlich war es noch nicht 20 Uhr; der Offizier wollte ihn nur aergern. Im Gebaeude hoerte Jakob zufaellig ein Radio. Es wurde berichtet, dass deutsche Truppen gegen russische Truppen ungefaehr 250 Kilometer entfernt von der Stadt, worin das Ghetto liegt, gerade gekampft haetten. Ein mueder junger Nazi, der weiss, dass Jakob nichts getan hatte, schickt ihn ohne Weiteres nach Hause. Spaeter um einem Freund Hoffung zu geben, teilte Jakob ihm mit, dass die Russen naeherrueckten und nur 250 Kilometer weg waren. Jakob erklaerte ihm, dass er diese Nachricht an seinem versteckten Radio gehoert haette. Wer ein Radio hat, wird aber mit dem Tode bestraft. Der Freund verpricht, das Geheimnis zu behalten. Er ist aber geschwaetzig und kann die freudige Nachricht, dass die Niederlage der Deutschen und die Befreiung des Gehettos vielleicht unmittelbar bevorsteht, nicht verschweigen. Bald glauben es viele. Die Einwohner fangen an zu hoffen, und wollen neue Nachrichten. Die Selbstmordrate sinkt. Aber am Ende des Romans muss er gestehen, dass er gelogen hat, und was eigentlich bevorsteht ist die Fahrt nach Auschwitz.
Wie gibt man anderen in einer hoffunungslosen Lage Hoffung? Die Antwort des Romans ist klar: man luegt. Aus Guete vielleicht, aber nicht destoweniger: man luegt.
Becker erzaehlt wie ein Dichter: alles mit Untertreibung geschildert. Er betont den Alltag, so viel das moeglich im Gehetto ist: ein Kind, zum Beispiel, deren Eltern ermordert wurden, nimmt Jakob in seine Wohnung auf. Ein anderes Beispiel ist sogar eine Liebesgeschichte--die Liebenden waehnen noch, mit der Hilfe von Jakobs Nchrichten, dass sie eine Zuknunft haben.
Der Roman enstand zuerst als ein Drehbuch; aus diesem Grund gibt es etliche Szenen, die wie aus einem spanndenden Film springen. z.B.: Jakob moechte wahre Nachricten bekommen, um die Last seiner Mitjuden erleichten zu koennen. Er hat eine Idee. Die Deutschen verwenden Zeitungen als Klopapier. Jakob scheicht in das Steinhaus, das Soldatenklosett. Waehrend er einige Seiten sammelt, klopft ein Soldat an die Tuer. Der Soldat glaubt, dass es um einen Deutschen auf dem Klo handelt. Jakob bereitet sich fuer den Tod. Aber sein Freund, Kowalski, sieht alles aus der Ferne. Er tippt einen Stapel Kisten um, wonach ein grosser Krach entsteht. Der Soldat laeuft Kowalski wuetend entgegen, und schlaegt brutal zu--Jakob benutzt die Gelegenheit, unbemerkt zu verschwinden.
Das Ghetto enthaelt Leute aller Gesellscaftsschichten, da die einzige notwendige Charakteristik um verfolgt zu werden war Jude zu sein. Die meisten im Ghetto aber waren Durchschnittsmenschen. Ausnahmen waren Dr. Kirchbaum, der voher ein weltberuemter Kardiog war, und Schmidt, ein ehemaliger erfolgreicher Advokat, der vergessen hatte, dass er teilweise juedischer Herkunft war, bis ein neidischer Kollege ihn verleumdete.
Eine unvergessliche Episode im Buch handelt sich um Kirschbaum. Eines Tages klopfen zwei Offiziere an seine Tuer. Kirschbaumm und seine Schwester glauben, dass das Ende kommt. Aber sie wollen "nur", dass Kirschbaum mit ihnen kommt, dem SS Kommandanten zu helfen, der eben einen Herzanfall gelitten hatte. Der Nazi Stabarzt hat sein Bestes getan, aber umsonst. Als er erfaehrt, dass Kirschbaum, dessen hoher Ruf ihm bekannt ist, im Ghetto wohnt, laesst er ihn holen. Auf der Autofahrt zum SS-Kommando nimmt Kirschbaum Tabletten, vermutlich gegen Sodbrennen, und bietet einige auch den Offizieren an. Am Ende der Fahrt, faellt er tot aus dem Auto; er hat sich vergiftet.
Der Erzaehler der ganzen Geschichte, einer der Wenigen im Ghetto, der die Nazizeit ueberlebte, besucht einen der zwei Offiziere, die Kirschbaum zum Kommando brachten, nach dem Krieg.. Dieser war viel weniger grob als der andere Offizier. Er besizt jetzt Entnazizifierunspapiere sogar. Er hat jerzt eine Familie und erweist sich als ein guter Vater. Seine Tranformation von Nazi zum guten deutschen Buerger ging anscheinend reibungslos zu. Graesslich! Hier ist noch ein Beispiel von Beckers Untertreibung: der Erzaehler bleibt stumm.
Das Buch enthaelt eine interessante Baumsymbolik. Man bermekt sie kaum, auch hier ist Untertreibung im Spiel. Der Erzaehler hat eine tiefe Beziehung mit Baeumen, so faengt der Roman an. Fuer ihn hat ein Baum im Grunde drei Aspekte. An erster Stelle ist ein Baum die ganze Natur im kleinem. Er ist unerklaerbar. Baeume stellen aber nicht nur die Schoenheit der Natur dar, sondern auch ihre voellige Indifferenz. Der Erzaehler fiel von eniem Baum als Kind und verletzte sein linkes Handgelenk; so endete seine Hoffnung auf eine Karriere als Violinist. Und Baeume werfen Schatten, einige in Form der Menschen--auch Teile der Natur--die unglaublich boese sein koennen. Die Nazis haben Channa, die Frau des Erzaehlers, im Schattein eines Baums erschossen. Diese drei Aspekete eines Baums, naemlich die Schoenheit, die Indifferenz and das Boese formen den Hintergrund der Geschichte die folgt--und endet. Als der Erzaehler schaut durrch das Guckloch im Wagen auf dem Weg nach Auschwitz, sieht er Birken, Weiden und Kiefer vorbeihuschen. Schoeinheit, Gefahr und Indifferenz--der Baum, wie das Leben, ist hoechst zweideutig. Der ganze Roman liegt gleichsam in seinem Schatten.
Der Autor Jurek Becker, 1937 in Lodz geboren, war schon als Kind nach Sachsenhausen deportiert worden. Seine Mutter wurde ermordet. Gluecklicherweise ueberlebten Vater und Sohn. Der Verfasser wohnte in der DDR; nach West-Berlin musste er aber als Dissident umziehen. Er erlebte die Wende; er starb 1997 an Krebs.
Ein sehr gelungener Roman ist Jakob der Luegner; er erhebt und zerdrueckt zur selben Ziet. Ein Klassiker, meiner Meinung nach. Andere aber teilen diese Ansicht nicht mit. Als ich neulich in Deutschland war, suchte ich den Roman in vielen Buchhadnlungen; er fehlte allen Regalen. Schade.
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