7.28.2012

WEISHEIT UND DAS ALTER




"Es ist traurig wenn ein junger Mann nicht zum Tempel geht;  es ist aber trauriger wenn ein alter Mann den Tempel noch besucht."  So läuft ein altes, mir beliebtes indisches Sprichwort.  Es mangelt dem Jungen etwas; der weise Alte hat nichts mehr zu beklagen.  Weisheit, eine innere Erfahrung dass alles Eins ist; eine Anschauung, die die Welt so wie sie ist bestätigt, und die Verwirklichung dieser Lebensphilosphie im täglichem Handeln, nämlich mit Liebestaten, ist alles was man braucht.  Normalerweise wächst dieses gefühlte Wissen mit den Jahren. (Hoelderlin verfaßte mitten im Jugendtumult die schoenen Worte, "Friedlich und heiter ist dann das Alter." Leider verfiel er mit 35 Jahren bis zu seinem Lebensende in geistige Umnachtung.  Nicht jeder ist glücklich genug, die genügende Erfahrung in einem Gesundheitszustand zu genießen, um friedlich und heiter im Alter zu sein.)  Es gibt natürlich viele unweisen alten Menschen;  jungen Menschen, die weiser sind, gibt es sicherlich auch, aber die Tendenz, dass man weiser wird im Alter, ist nicht zu bezweifeln.  Warum?  Jüngere Leute sind notwendigerweise mehr ehrgeizig und kompetitiv, weil sie mitten in einer Karriere sind und eine Familie oder wenigstens sich selbst unterstützen müssen; in einer Hund-frißt-Hund Welt darf das Ich nicht als Maus vorkommen.  Mit anderen Worten, sie glauben, dass sie einzigartig sind oder sein sollen. 

Ein Motivationstrainer, mein Neffe sogar, berät seinen Kunden nur jene Arbeit anzunehmen die sie lieben, die ihnen Spaß macht.  Aber gibt es genug wunderschoene Stellen für Arbeiter, die für eine Familie verantwortlich sind?  Die Zufriedenheit der Arbeiter--ist das der Lebenszweck der Arbeitgeber?  Sind die Arbeiter für sie an erster Stelle Menschen oder Mittel?  Die Antwort ist klar.  Geld ist knapp und Arbeit lang und schwer.  Ihre Bedürfnisse deckt ihr Leben nicht ab.  Die Alten wissen, dass ihre Bedürfnisse auch nicht abgedeckt werden, aber das wissen sie schon längst; sie erwarten das nicht vom Leben, was es nur brüchweise und ungenügend gibt.  Das Wissen, dass unsere Wünsche nicht erfüllt werden heißt in Buddhas Sprache dukka; diese Erkennung ist der erste Schritt auf dem langen Weg zur Weisheit.  Wer innere Augen und innere Ohren hat; wer mit diesen Fakultäten alt geworden ist, der kennt euch, ihr himmlische Mächte! 


Obwohl ich jetzt den Tempel hauptsächlich besuche, wenn dort ein Konzert stattfindet, sehe ich nicht stolz auf die Religioesen herab.  Kritiker die glauben dass den Frommen an Logik mangelt, vergessen dass viele Gläubiger Religion brauchen.  Ein großer Bedarf huscht die Logik fort. Die Lebensverhältnise der Kritiker sind oft bedeutend besser; sie genießen meistens eine gute Ausbildung, sind Professionelle, haben eine gute Arbeitsstelle und sind nicht isoliert.  Wie die sterbende Violetta im dritten Akt von la Traviata singt; Religione è  sollievo asofferenti--Die Religion ist Entlastung für die Leidenden.  Die Kombinationen von inneren und äußeren Zuständen machen oft ein schweres Leben aus.  Wenn man sich auf Erden trostlos fühlt, kommt es oft vor, dass man himmlischen Trost sucht.  Ein großer Freund der eigentlich nicht da ist?  Shhhh--Der Alte, der schon seine Krücke weggeworfen hat--d.h. den Glauben an einen Gott, der in die Geschichte eintritt oder mindestens Gebete beantwortet--dieser hat keine Lust die Jüngeren frühzeitig aufzuklären.  Die Zeit ist ein besserer Lehrer.  Wenn  man Rat sucht, soll der Alte einem beraten, sonst sollte er es der Zeit überlassen, den anderen Menschen zur Weisheit zu bringen.    


Es ist moeglich, dass ich Religion brauchte, als ich jung war--sie hätte mir vielleicht helfen koennen. weniger isoliert zu fühlen zu einer Zeit der Verwirrungen und der Vereinsammung; vielleicht hätte sie mir Bekanntschaften und sogar Freunde angeschafft--der Patient hatte damals Medizin gegen Isolierung noetig.  Aber ich hatte kein Talent dafür.  Ich versuchte, Jude am Monntag, Christ am Dienstag, Muslime am Mittwoch, Buddhist am Donnerstag und Hindu am Freitag zu sein, und, ich muß  gestehen, ich war froh, das Wochenende frei zu haben.  Solcher Oekumenismus bürgt dafür, dass ich schon damals für Dogmatik nichts übrig hatte.  Das Freidenken machte mich alt zu früh, d.h. zu einer Zeit als ich noch Unterstützung brauchte, selbst wenn sie nur ein Wahnbild wäre.


Ich glaube jetzt, wie fast alle Wissenschaftler, dass der Geist eine Projektion des Koerpers ist.  Es ist als ob das Gehirn auf ein inneres Bildschirm einen Film zeigt, ein Film der für den Individuum mit der Geburt anfángt und mit dem Tode endet. (Der Titel deines Filmes ist dein Name.)  Dieses Lichtspiel, dessen Inhalt unsere engere Identitát darbietet, ist sehr wertvoll--für uns--äußerst wichtig.  (Es gibt aber Billionen von wichtigen Filmen!)   Einige moegen ihre Filme für wertlos halten--ihre Einbildungkraft hat ein selbstgefälligeres Drehbuch geschrieben; aber das Gehrin, das Stunde nach Stunde Daten von der inneren und äußeren Umwelt bekommt, ist nicht in der Lage, den Film zu zeigen, der dem Selbstgefühl besser gefallen würde.  (Noch ein Wort vom Buddhismus: tanja, nämlich die Lust nach etwas, was die Welt nicht anbieten kann.  Die Quelle alles Leidens nach Buddha.)


Der Inhalt des Films koennte spannungvoll, froehlich oder traurig sein--vielleicht alle drei--aber es handelt sich um "nur" einen Film.  Wenn zur rechten Zeit ein übernatürlicher deus ex machina ankommt, geschieht nur im Drehbuch und nicht außerhalb von  ihm.  Die Fiktion dass der Film eines Tages in die Hände des großen Redakteurs kommen wird, der nach ein wenig Umschreibung im ewigen Lichthaus immer spielen wird, ist genau das, eine Fiktion.  Ein Film der nie endet ist Einbildung.  Unser Vorhaben, ein erfolgreicher Regisseur des eigenen Films zu werden, ist vielleicht auch eine Illusion, aber eine notwendige und eine bessere, deren Folgen große Szenen sind, die uns alle inspirieren koennen und sollen.  (Vielleicht sind Wille und Determinismus nur zwei Teile einer Wirklichkeit; es kommt darauf an, von welcher Ebene aus man die Sache betrachtet.)  Nur zwei Dinge sind imstande, den Film in einen Klassiker zu transformieren; zwei Dinge, die wir schon erwähnt haben: Liebe und Weisheit.  Wenn unsere Hauptrollen und Nebenrollen in einem miesen Film stecken bleiben, sind unsere Wahnvorstellungen daran schuld.


Ja, unsere Geschichten finden mehr oder weniger im Dunkeln statt--Aber wir sind mehr--hier spreche ich von unserer breitesten Identität--als Film.  Das erfahren wir jenseits aller Worte, wenn unser Tun und Lassen von der Liebe und von der Weisheit geprägt sind.  Nicht zu vergessen: wenn der Film vorüber ist, erst dann wir es im ganzen Lichtsaal hell.



NB: Deutsch, wie Sie schon wohl festgestellt haben, ist nicht meine Muttersprache.  Aber ich moechte jetzt auch deutschsprechende Leser erreichen. (Obwohl die Zahlen nicht sehr groß sind, liest man meine Aufätze, Gedichte und Uebersetzungen  überall in der Welt.  Meine Gedichte sind in den letzten 40 Jahren in mehr als 400 Zeitschriften erschienen; ich bin auch der Autor von ein paar Sammlungen von Gedichten.) Vielen Dank zu Mary Uppman, die diesen Aufsatz gelesen hat, und mehrere Stellen, die Verbesserung brauchten, fand.  Wenn Sie für weitere Aufsätze wie diesen interessieren, bitte mich wissenlassen.

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