1.
Als meine Frau, Nirmala, und ich die schreckliche Nachricht bekamen, dass unser liebe Neffe Ranjit nicht mehr auf Erden war, waren wir tief erschūttert. Er ist mit 42 Jahren gestorben, ein junger Mann, wenigsten im Vergleich mit uns. Wir kannten ihn seit seiner frühen Jugend. Er hat sogar bei uns zu Hause laufen gelernt. Und später, als er in Asien bei der Vereinigten Nationen arbeitete, besuchte er jedes Jahr uns hier in Amerika. (Zum Beispiel, im Jahre 2016 als wir das Ergebnis vom Präsidentenwahl abwarteten, sagte ich zu Ranji, ‘Geh schlafen. Die Amerikaner sind nicht so doof um so einen wählen zu können...')
Nach der Nachricht sassen wir vor dem kleinen Altar im Hause und meditierten. Fast sofort riechten wir den Tod. “Nimala, riechst du was?” Ihr Gesichtausdruck hat bestätigt, dass ich recht hatte, den Tod. Hinter dem Diwan entdeckten wir die toten Körper von zwei armen Mäusen, die am Klebepapier schon längst tot dalagen.
Was ist der Mensch dass du seiner gedenkst? Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wie kannst du, Natur, so gleichgültig sein, um einen Menschen, meinen Neffen, so allein wie ein Vieh sterben zu lassen? Die Mäuse sind weg; wir meditieren täglich weiter. Das ist aber keine Antwort.
2
Die folgenden furchterregenden Zeile kommen am Ende
eines Gedichts von Emily Dickinson über den Tod einer Frau: And then an awful
leisure came/ Belief to regulate. Wir sind jetzt in dieser schrecklichen Freizeit
mitten drin; etwas Tröstliches wird kommen, dessen sind wir f a s t sicher.
Für die Überlebenden ist die Erkenntnis über
die Fragilität und Kurzdauer des menschlihen Lebens in uns noch tiefer
eingeprägt. Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Nichts zu tun als ein bisschen
Freude aus dem Schicksalszwiebel zu zerquetschen:
Rosen auf den Weg gestreut
Und des Harms vergessen!
Eine kleine Spanne Zeit
Ward uns zugemessen.
Man denkt auch an die erste Strophe eines Gedichts
von Lorenzo de Medici :
Quant’è bella giovinezza
Che si fugge tuttavia!
Chi vuol esser lieto, sìa:
Di doman non c’è certezza.
Di doman non c’è certezza—wahr, Ranji,
allzu verdammt wahr!
3.
Wir beenden diese kurze Liste von Erinnerungsgedichten
mit einem Lieblingsgedicht von Heine:
Es Kommt der Tod
Es kommt der Tod : jetzt will ich sagen
Was zu verschweigen ewiglich
Mein Stolz gebot: für dich, für dich,
Es hat mein Herz für dich geschlagen!
Der Sarg ist fertig. Sie versenken
Mich in die Gruft. Da hab ich Ruh.
Doch du, doch du, Maria, du
Wirst weinen oft und mein gedenken.
Du ringst sogar die schönen Hände—
O tröste dich—Das ist das Los,
Das Menschenlos--was gut und gross
Und schön, das nimmt ein schlechtes Ende.
Alles in diesem Gedicht ist buchstäblich, d.h. biographisch, wahr, und zur selben Zeit auch ästhetisch perfekt. Die Unruhen von 1848, hat Heine gezwungen, Deutshcland zu verlasssen und nach Frankreich zu emigrieren. Leider litt er an tertiäre Syphillis, eine Krankheit, die ihn paralysierte. Das Ende seines Lebens verbrachte er im sogenannten Matrazengrab. Die Frau die ihn besorgte war ihm nicht ebenbürtig; sein Stolz hat ihn gehindert, seine Liebe zu erklären. Das Sterben hat eindlich seine Zunge gelöst. (Leider wartet man oft zu zu lange um erst das zu sagen, was man längst hätte sagen sollen!)
Es ist das Ende des Gedichts, das mich seit
Jahrzehnten faziniert: was gut und gross/und schön, das nimmt ein schlechtes
Ende. Der Rhythtmus und Sprachmelodie sind perfekt; erhoben am Anfang, erdrückend
am Ende. Ich denke an die toten Mäuse, die wir beim Meditieren entdeckten. Mäuse
sind nicht ‘gut und gross und schön’—wir sind fast so gleichgültig wie die
Natur, wenn eine stirbt. Aber wir sind Menschen, Lebewesen, die lieben. Trotz
Hitsongs, selbst die Liebe dauert nicht ewig. Ihr Ende ist furchtbar hart. Nicht zu
vergessen, dass Heine seiner Geliebten Trost einfliessen wollte. Was können wir
tun als weiter zu leben und weiter zu lieben?
4.
Ranji, ich werde dich niemals
vergessen, nie, nie nie!